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Huberts Flucht

Hubert war entkommen. Sie hatten alles versucht. Doch er hatte es geschafft. Jetzt war er raus. Hatte sie abgehängt. Seit zwei Stunden lief er nun durch den Wald. Inzwischen war es Nacht geworden. Die Nächte wurden bereits wieder empfindlich kalt. Doch das machte ihm nichts. Alles was zählte war, er war entkommen.

Erschöpft gönnte Hubert sich eine Pause. Wenn er sich umdrehte konnte er noch die Lichter der Stadt sehen. Das Licht in seinem Fenster hatte er mit Absicht angelassen. Um sie zu verwirren. Vor einem Jahr waren sie eingezogen. Einer nach dem anderen. Doch lange hatte er nicht gebraucht, ihr perverses System zu durchschauen. Einige von ihnen hatten Licht im Fenster. Scheinbar zufällig, aber Hubert kannte ihre Symbole. Das Muster der Lichter war ein Signal. Wir haben Deine Flucht bemerkt. Wir suchen Dich. Wir werden Dich finden.

So. Lange genug gerastet. An den Lichtern konnte er ja ablesen, dass sie ihn zurück wollten. Er mußte weiter fort. Die Zivilisation verlassen. Irgendwohin, wo sie ihm nicht folgen konnten. Der Mond stand klar und hell am Himmel. Vollmond. Das bedeutete zwar, dass er gut sehen konnte, machte es aber auch ihnen leichter, ihn zu finden. Natürlich sorgten sie dafür, dass die heutige Nacht wolkenlos war. Sie wollten sich ihre Suche ja nicht unnötig erschweren.

Plötzlich verließ er das Unterholz. Ein Schock fuhr in Huberts Glieder. Da war ein ausgefahrener Waldweg. Genau in seiner Richtung. Also war alles geplant gewesen. Alles. Sie hatten gewußt, er würde fliehen. Sie kannten seine Richtung. Und um ihn zu verhöhnen, um ihm die Sinnlosigkeit seines Tuns zu zeigen hatten sie ihm eine Straße gebaut. Ein weniger aufmerksamer Mensch hätte wohl an einen Zufall geglaubt. Aber nicht so Hubert. Nein. Er hatte zu viel erlebt. Kannte sie zu gut, ihre kranke Methodik. Weiter vorne auf der Straße würden sie auf ihn warten. Über seine Dummheit lachen.

Doch Hubert wollte ihnen nicht so leicht in die Falle laufen. Jetzt hieß es Nachdenken. Weiter konnte er nicht. Zurück konnte er nicht. Also zur Seite. Nur weg von dem Weg.

Wie ein gehetztes Tier lief Hubert nun durch den Wald. Er kam langsamer voran, als er sich wünschte. Sie hatten dafür gesorgt, dass er Seitenstechen bekam. Ein Jahr lang hatten sie ihn gequält und bestrahlt, bis sie dachten, er würde bei der geringsten Bewegung zusammenbrechen. Aber er konnte ihnen nun zeigen, zu was er fähig war. Schmerzen aushalten, das konnte er. Das hatte er sein Leben lang getan. Sie hatten sich den Falschen ausgesucht.

Ein Zweig streifte sein Gesicht. Hubert erkannte die darauf wuchernden Auswüchse. Gut getarnt, wie normale Krebsgeschwüre, aber Hubert wußte es besser. Selbst in die Bäume hatten sie also ihre Mikrophone und ihre Kameras eingepflanzt. Einzig zu dem Zweck, ihn wieder zu finden.

Hubert lief weiter. Langsam bohrte sich das unangenehme Gefühl in seinen Magen seine Gegner unterschätzt zu haben. Selbst hier, fast schon drei Stunden von der Stadt entfernt fand er überall ihre Spuren.

Und dann war es vor ihm. Das eindeutige Zeichen. Ihre Macht umspannte also bereits die gesamte zivilisierte Welt. Was er hier sah, ließ ihn unnötig lange innehalten. Doch der Schock saß zu tief. Ein Turm. Ein Sendeturm. Mitten im Wald. Sicher gab es hier tausende versteckte Überwachungskameras. Nichts konnte sein, was es schien, an einem solch massiven Zentrum ihrer Macht.

Endlich konnte er sich von dem Anblick lösen. Sie hatten doch nicht alles vorhergesehen. Sicher hätten sie den Turm nicht hierher gebaut, wenn Sie gewußt hätten, dass er hier entlang kam.

Am Waldboden erkannte er im hellen Mondlicht einige Pilze. Drei in einer Gruppe und etwas entfernt nochmals zwei. Das war eines ihrer Zeichen. Hier also hatten sie einen geheimen Versammlungsplatz. Wenn er Pech hatte kamen sie heute Nacht. Dann war alles umsonst gewesen. Fast währe er gedankenlos unter einem auffällig schief im Geäst hängendem Baum hindurch gelaufen. Aber ließen sich nicht in den herunterhängenden Flechten besonders leicht ihre Sensoren verstecken? Bewegte sich da nicht etwas? Eine ihrer Wächterkreaturen? Mit langen Greifarmen, ihn festzuhalten, käme er jemals soweit. Ja, so mußte es sein. Ihnen war alles zuzutrauen. Also rannte er einen weiten Bogen darum herum.

Was war das? Ein krachen im Unterholz. Ein Schatten der sich schnell entfernte. Konnten Sie jetzt auch noch ihre Gestalt wechseln? Und das Rufen jener Eule klang doch eigentlich eher nach einem Signalhorn. Sie wußten jetzt wo er war.

Die Schmerzen in den Beinen und das Seitenstechen trieben ihm Tränen in die Augen. Doch Hubert mußte weiter. Er durfte sich von nichts aufhalten lassen. Blinzelnd sah er noch genug, um den Bäumen ausweichen zu können. Doch die Wurzel am Boden übersah er. Der Länge nach fiel er auf nassen Waldboden. Gerade hier natürlich hatten sie einen Sumpf angelegt. Und eine Wurzel davor, um ihn darüber fallen zu lassen. Sich vorstellen zu müssen, wie sie sich heimlich über ihn amüsierten schmerzte mehr, als hätte er nun ein lautes Lachen gehört.

Aber noch hatte er eine Chance zu entkommen. So schnell es seinen schmerzenden Gliedern möglich war rappelte er sich wieder auf und rannte weiter. Nun schob sich doch eine Wolke vor den Mond. Sie leiteten Maßnahmen ein, seine Flucht zu erschweren. Nun wußten sie also endgültig, wo er war. Wer konnte jetzt noch wissen, was sie mit ihm vor hatten?

Mit tränenden Augen konnte er in der jetzigen Dunkelheit überhaupt nichts mehr erkennen als er den Wald veließ. Zu spät sah er das grelle Licht der Plötzlich vor ihm auftauchenden Scheinwerfer. Da wurden ihm auch schon die Beine unter dem Körper weggerissen. Ein Auto. Natürlich schickten sie gerade jetzt ein Auto waren seine letzten Gedanken, bevor er hart auf dem Teer aufschlug.


Johannes Bretscher

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