Die Forschungen in Indien und Hochasien
Die Jahre 1854-1857 verbringen die Brüder Adolph, Hermann und Robert Schlagintweit in
Indien und Hochasien. Impulsgebend für die Reise, die den Höhepunkt der
wissenschaftlichen Tätigkeit der Schlagintweits darstellt, ist ein Mann, dessen eigene
universelle Forschungsmethodik beispielgebend für die Brüder Schlagintweit gewesen
ist: der weitgereiste, bereits achtzigjährige Alexander von Humboldt, dessen angenehme
Bekanntschaft sie 1849 in Berlin machen.
Auf seinen Vorschlag hin beauftragt die "East Indian Company" die Brüder
Schlagintweit. Aufgabenstellung ist, den Plan einer weltumspannenden
"Magnetic Survey" in Indien und
Hochasien fortzuführen. Sie soll der exakten Kartographie des Landes dienen. Obwohl
in der englischen Presse zunächst Proteste zu lesen sind, die auf die Nationalität
zielen und von Bevorzugung einer Familie reden, wird der Plan umgesetzt. Dies ist neben der
finanziellen Beteiligung des preußischen Königs auch dem diplomatischem Geschick
Adoph Schlagintweits zu verdanken. So stechen Hermann, Robert und Adolph am 20.09.1854
in Southhampton in See.
Große Ziele und hohe Erwartungen kennzeichnen den Reisebeginn. So hoffen die
Brüder, neben den georderten magnetischen Untersuchungen auch weitere Erkenntnisse
in der Gletscherforschung sammeln zu können. Diese Zielsetzung ist zu Zeiten der
Schlagintweits nicht ohne Brisanz, wird doch von der Mehrzahl der Schlagintweitschen
Zeitgenossen - so auch von Alexander von Humboldt - angenommen, daß der Himalaya keine
Vergletscherungen aufweist. Weiteres Interesse gilt der Kartographierung der Landschaften,
vor allem der Gebirgszüge, sowie den kulturellen Bräuchen der indischen
Bevölkerung.
Wie groß der Wissensdrang der jungen Forscher ist, zeigt ihr Verhalten während der
Schiffsreise nach Bombay. Meeresströme in der Gibraltar-Passage werden bestimmt,
das Phänomen des Meeresleuchtens untersuchen die Brüder, indem sie Meerwasser
in die Wanne abgedunkelter Schiffskabinen pumpen.
Am 26.10.1854 wird Bombay, das Tor Indiens, erreicht. Von hier aus durchqueren die Brüder
auf verschiedenen Wegen Südindien, um nach Madras zu gelangen. Dort schiffen sie sich
nach Calcutta ein. Hier trennen sich die Wege der Brüder
(Karte)
für längere Zeit.
Hermann begibt sich auf eine Reise entlang des Brahmaputras. Er durchquert Bengalen und
gelangt schließlich auf das Dach der Welt nach Darjeeling. Dort entsteht ein
Aquarell des Mt. Everest, eine der zahlreichen aufschlußreichen
Landschaftsdarstellungen. Auf dem Brahmaputra und der Tista gelangt Hermann nach Assam.
Von dort aus führt ihn ein Abstecher nach Bhutan, ins Mönchskloster Narigun.
Nach dem Studium des Lebens der Mönche kehrt Hermann im März 1856 nach
Kalkutta zurück.

Mt. Everest
Adolph und Robert wählen eine andere Reiseroute. Da ihnen die Einreiseerlaubnis nach
Nepal verwehrt bleibt, wenden sie sich, in Richtung des Ganges, Almora und Nainital zu. Den
dortigen längeren Aufenthalt von sechs Wochen nutzen sie, um die erdmagnetischen
Forschungen zu vervollständigen. Außerdem unternehmen sie Versuche mit
Kohlensäure. Anschließend begeben sie sich nach Milum. Robert wählt
mit dem Troß
den Weg durch die Täler. Adolph überschreitet in 5416 Meter
mit seinen Begleitern die Traillpässe, vor Schneeblindheit mit grünen
Schleiern geschützt.
Von Milum aus wagen Adolph und Robert im Sommer 1855 den Vorstoß ins verbotene
Tibet, das geheimnisvolle Land der Mönche. Obwohl sie von ihren Verfolgern bald zur
Umkehr gezwungen werden, bleibt dieser Ausflug nicht ungekrönt. Denn auf dem
Rückweg gelingt den Brüdern Adolph und Robert im August 1855 bei einem
Versuch der Besteigung des Kamet mit 6785 überwundenen Höhenmetern ein neuer
Höhenrekord. Jedoch bleibt ihnen wegen der schlechten Witterungsverhältnisse
der Triumph der Gipfelbesteigung verwehrt. Adolph schreibt später: "Es war die
anstrengendste Bergbesteigung, die ich je gemacht habe."

Leh, die Haupstadt von Ladak
Im Winter 1855/56 ziehen Adolph und Robert auf verschiedenen Wegen durch Zentral- und
Südindien um dann über Kalkutta entlang des Ganges nach Simla zu gelangen. Hier
treffen sie im April 1856 mit Hermann zusammen. Von dort aus gelangen Hermann und Robert,
die nun einen gemeinsamen Reiseabschnitt antreten, auf verschiedenen Wegen nach Leh.
Während Adolph über den Mustagh-Pass zieht, dessen Überquerung er
später als "mühsames Gehen im aufgeweichten Schnee" schildert, führt
Hermanns Route über die Salzseen. Hier halten ihn Untersuchungen zur
Temperaturverteilung in den Seen auf.

Fuss des Mustagh Gletschers
Von Leh aus ziehen Hermann und Robert gemeinsam gen Norden zum Karakorum-Pass. Studien
der Bergmassive bringen den Brüdern interessante neue Erkenntnisse. So wird der
umgebene Gebirgszug als Karakorum benannt, nachdem der Kunlun als nördlicheres,
eigenständiges Gebirge erkannt wurde. Außerdem gelingt den Brüdern, das
Karakorum als Wasserscheide zwischen Nord und Süd zu bestimmen. Auf dem
Rückweg nach Srinagar, wo ein erneutes Zusammentreffen vereinbart ist, besucht
Hermann das Kloster Hemis.

Karakorum Gletscher
Im Oktober 1856 findet in Srinagar ein letztes Zusammentreffen der Brüder statt.
Erneut werden Erfahrungen ausgetauscht und Pläne für den Rest der Reise
sondiert. Von Rawalpindi aus gehen die Brüder dann wieder getrennte Wege. Robert
zieht mit einem Großteil der Sammlung in einer großen Karawane über
Karatschi nach Bombay um sich dort an Bord eines Schiffes in Richtung Alexandria zu
begeben. Hier begegnet er Hermann wieder, der in der Zwischenzeit Nepal besucht hat.
Die Erlaubnis ist ihm erst spät zu Teil geworden. Robert und Adolph bleibt
sie verwehrt. Berlin erreichen Hermann und Robert am 17.06.1857.

Kloster Hemis
Adolph verfolgt ein größeres Ziel. Er will Deutschland nach dem Vorbild
Alexander von Humboldts auf den Landweg quer durch Rußland und Zentralasiens
zu erreichen. Als er von Aufständen in Turkistan hört schickt er sein Hab
und Gut nach Indien zurück, zieht aber weiter in die unsichere Region. Im Sommer
1857 greifen ihn Reiter des Vali Kahn auf. Am 26.08.1857 wird Adolph am Hof des Kahns
als möglicher chinesischer Spion ohne Verhandlung enthauptet.
Als Hermann und Robert in Deutschland vom Schicksal des Bruders erfahren sind sie
bestürzt. Schwer wiegt neben dem menschlichen Verlust das Fehlen Adolphs bei der
Auswertung des gigantischen Forschungsmaterials. Vieles bleibt auf Grund der fehlenden
Klärung von Zeit und Ort, an denen Bilder gemalt oder Versuche getätigt wurden,
unausgewertet.
Triumphal sind trotz des Leides die Ergebnisse der dreijährigen Forschung. Kenntnisse
über Geologie, Meteorologie und Orographie der Gebirgsketten, sowie
umfangreiches Wissen über Ethnologie und Kulturgeschichte des Landes sind gewonnen
worden und zur Auswertung bereit. Außerdem zeigen 751 Bilder und zahlreiche
Photographien nicht nur Physiognomien der indischen Landschaft, sondern dienen auch
aufgrund der Geländegenauigkeit zu kartographischen Zwecken. Zwei mehrbändige
Bücher erscheinen mit ersten Ergebnissen der Reise.
Beispielgebend bleibt die universelle Forschungsmethodik der Brüder im Stile
Alexander von Humboldts. Der Versuch eines Zusammenwirkens der verschiedenen
wissenschaftlichen Bereiche wird von ihnen, die Zoologen, Botaniker, Geologen, Ethnologen
und anderes sind, zur Blüte gebracht.
Auch das spätere Leben bleibt der Forschung gewidmet. Robert wird Professor in
Gießen, während Hermann sich Zeit seines Lebens mit der wissenschaftlichen
Auswertung und organisatorischen Verwaltung der riesigen Sammlung befaßt. Viele in-
und ausländische Auszeichnungen werden den Brüdern überreicht.
Robert stirbt am 06.06.1885, Herrmann am 19.01.1882, Arbeiten bleiben unvollendet,
ein Leben hat nicht genügt, der Menge an Wissen Herr zu werden.
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© Michael Schlagintweit
28.09.2002